Den Kongo erwandern

 

 

 

Heute schien die Sonne den ganzen Tag. Nachdem ich einige Zeit am Generator gearbeitet hatte, wurde mir heiß. Das Licht der Mittagssonne ist hierzulande ganz anders. Es ist total weiß und die Farben wirken fahl - außer Fliegen ist dann nichts unterwegs. Zur Mittagszeit bekam ich starke Kopfschmerzen. Das schlug bis auf den Magen durch. Ich war total krank. Ein Sonnenstich?

 


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Am nächsten Tag habe ich einen Spaziergang bis zum nächsten Wald unternommen. Etwa einen Kilometer entfernt von der Station komme ich zu einer Senke. Hier muss es manchmal tüchtig regnen. Denn weiter unten gibt es Erosionen von vier bis fünf Metern Tiefe. Dort ist es auch moorig. Der Wald steht in tiefen Einschnitten - vielleicht zehn Meter tief. Die Waldgrenze ist scharf. Innerhalb eines Meters wird der Übergang von der Steppe zum Hochwald vollzogen. Im Übergang wachsen kakteenartige Gewächse.

 

 

 

Die Vögel zwitschern wie in Walsrode im Vogelpark.

 

 

 

Die Holzmafia ortet von Flugzeugen aus die wertvollsten Bäume. Tropenholz ist begehrt. Sie werden mit riesigen Maschinen geerntet. Eine solche Stelle habe ich gefunden. So ein Baum von vierzig bis fünfzig Höhe wird unten abgesägt. Wenn er umfällt, reißt er eine Schneise. Er wird aus dem Tal herausgezogen und oben zerlegt. Beindicke Äste sind Abfall und bleiben liegen. Ich habe diese Maschinen nicht gesehen, aber die Spuren der Raupen sind etwa einen Meter breit!

 

 

 

Ich klettere die Schneise hinunter. Ein gefällter Baum von fünfzig Meter Höhe macht eine Schneise von fünfzig Meter Länge. Dort hinein scheint die Tropensonne in ein Umfeld, das zuvor nie die Sonne gesehen hat. Jetzt liegt alles erschlagen am Boden und ist vom Sonnenbrand verdorrt.

 

 

 

Die schieren Stämme liegen kilometerweit an den Rändern der Straße und warten auf ihren Abtransport. Das wird schwierig, weil die nächste Brücke über den Fluss viele Kilometer entfernt ist und die Fähre das Gewicht nicht tragen kann. Aber erst mal alles absägen, hat sich die Mafia gesagt, bevor es ein anderer tut.

 

 

 

Ich habe große Raubvögel gesehen und einen sehr kleinen grünen Vogel. An der Unterseite seiner Flügel war er rot. Der flog mir was vor, so dass er mir vorkam, als sei er ein Insekt. Ab und zu flog vor mir etwas anderes auf - mit lila Flügeln. Einige Meter weiter ging es wieder zu Boden. Ich wusste genau, wo ich suchen musste, aber ich habe das Tier nicht gefunden.

 

 

 

Ich blicke in die Ferne und sehe, was die Explosion einer Bombe angerichtet hat. Nein, das ist Bambus! Die Wuchskraft von Bambus ist ungeheuerlich. Er soll bis zu einem Meter am Tag wachsen! Hier entwickelt sich das Leben schneller, aber der Tod kommt fast ebenso schnell!

 


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Es ist Sonntag. Ich habe mich in Schale geworfen und gehe ins Dorf, wo meine Boys wohnen. Mein Weg führte über den Schulhof. Fein säuberlich beschriebene Blätter Papier wurden vom Winde verweht. Wie man an dieser Schule sieht, ist Bildung teuer und wird nicht von Jedem geschätzt.

 

 

 

Meine Boys haben mich erspäht und führen mich zum Haus des älteren Jungen. Ich frage, wo es eine Wasserquelle gibt. Man versteht mich nicht, will mir eine Frau an die Seite stellen und bringen mich, nachdem ich abgelehnt habe, zu dem Haus des Jüngeren. Dort treffe ich fünf Frauen und einen älteren Mann, der sich freut, meine Bekanntschaft zu machen. Ich versuche erneut, mich zu erklären und tue so, als trüge ich einen Wasserkrug auf meinem Kopf. Jetzt scheint man begriffen zu haben. Meine Boys gehen mit mir los.

 

 

 

Der Weg führt ins Tal. Wiederum sehe ich die Spuren großer Regenmassen. Der Graben, in dem wir gehen, ist wohl drei Meter eingeschnitten - erodiert - ausgewaschen. Nach 1 1/2 Stunden sind wir am nächsten Dorf angekommen.  Erneut versuche ich, mich zu erklären. Jetzt haben mich die Boys verstanden. Sie sprechen mit den Dorfbewohnern. Diese begreifen. Sie weisen uns noch einmal den Weg. Wir müssen in eine ganz andere Richtung.

 

 

 

Unterwegs treffen wir einen jüngeren Mann, der sieht sich im Spiegel an und kämmt sich. Er begrüßt uns mit Handschlag und führt uns zum Wasser. Das bedeuten zwei weitere Kilometer. Auf dem Weg dorthin ist alles abgebrannt, ich weiß nicht warum.

 

 

 

Der Bach ist wohl einen halben Meter tief, sein Wasser kristallklar. Die Ufer bestehen aus hellem Sand und sind sehr sauber. Im Oberlauf und im Unterlauf liegt viel Holz. Das also ist die Wasserstelle für zwei Dörfer. Dort wird auch gewaschen. Waschen und Wasser ins Dorf bringen ist eine Arbeit für Frauen.

 

 

 

Wir verabschieden uns von unserem Führer mit Handschlag. Nach einer kurzen Strecke durch den Urwald kommen wir an den Weg, der zu unserm Dorf führt. Wir kommen an Erdnuss- und Maniok-Pflanzungen vorbei. Die Familien bestellen jeweils ein Feld von 200 bis 500 Quadratmetern.

 

 

 

Wir gelangen an das Haus einer meiner Boys. Hier wächst Ananas und Hühner laufen herum.

 

 

 

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Auf dem Dorfplatz sitzen jetzt mehr als zwei Dutzend Männer und Frauen. Sie sehen uns mit ernsten Gesichtern entgegen und unterhalten sich. Eine ältere Frau rauchte Pfeife. Mein Boy hat unter den älteren Leuten offensichtlich nichts zu sagen.  

 

 

 

Ich habe große Hemmungen, diese Leute zu fotografieren. Auf dem Weg zu meiner Station finde ich einen blühenden Busch. Den will ich aufnehmen. Flugs kommt einer der Boys mit einer Amarillis, die er für mich gepflückt hatte. Wenn ich mich nur besser verständlich machen könnte!

 

 

 

Ins eigene Zelt zurückgekehrt, stellte ich meine Blume ins Wasser. Ich sortierte meine Schätze. Ein Stück Bernstein - eine Muschel - das Skelett eines Tausendfüßlers - den Fruchtstand einer Liane - Maniok - und eine halbe „Bohne“.

 

 

 

Einer der Boys kommt zu mir und klagt über Schmerzen in linken Handgelenk. Ich kann nichts feststellen - wie sollte er sich auch beim Spazierengehen die Hand verletzt haben. Um den größten Schmerz zu lindern, wickele ich ihm ein Verbandpäckchen um Hand und Unterarm. Soll ich ihm auch eine Schmerztablette geben? Nein, ich bin kein Arzt und gebe keine Medikamente aus. Ich habe ihm dann noch etwas Brot eingepackt und eine Dose Salz. Er war ziemlich traurig. Ich vermute, dass seine Schmerzen mehr psychologischer Art sind. Er wollte wohl, dass ich mich mehr mit ihm beschäftige. Das würde ich gern tun, aber ohne eine gemeinsame Sprache bleibt die Verständigung rudimentär. Vielleicht hat er ja auch einen Lohn für die acht Kilometer erwartet, die er mit mir gelaufen ist. Ich wüsste gern, wie ich mich verhalten soll.

 

 

 

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Das hätte ich beinahe vergessen. Vor dem Haus meines Boys stand ein Auto. Zwei Gewehre lagen auf dem Dach. An der Feuerstelle standen zwei weiße Männer, vielleicht Jäger. Ich fragte: „Anybody english speaking?“ Die Männer schüttelten den Kopf und fragten: „Englishman?“ Ich sagte: „Allemagne“.  „Oh“, sagten die Männer. „Heil Hitler.“ Die deutsche Vergangenheit reicht bis ins schwärzeste Afrika.

 

      

 

Übrigens ist im Kongo derjenige der größte Häuptling, der die meisten Feinde erschlagen hat. Auf dem Rückweg zum Zelt sah ich Autospuren. Ich machte mir Sorgen, dass die beiden Jäger mein Werkzeug und weitere Wertsachen erbeutet hatten. Glücklicherweise war dem nicht so.